Neuerscheinung des Monats

Hartwin Brandt, Handbuch der Altertumswissenschaft III, 11. Die Kaiserzeit. Römische Geschichte von Octavian bis Diocletian. 31 v. Chr. – 284 n. Chr. C. H. Beck: München 2021. 707 S. 98 EUR (ISBN: 978-3-406 77502 4).

Hartwin Brandt, ordentlicher Professor für Alte Geschichte an der Universität Bamberg, hat sich der mühevollen Arbeit unterzogen, das Handbuch der Altertumswissenschaften für die Römische Kaiserzeit neu zu verfassen. Es steht in der Tradition mehrerer von Hermann Bengtson verfassten Handbücher. Sehr zu begrüßen ist, dass der Verfasser die Möglichkeit erhielt, am Institute for Advanced Study in Princeton mehrere Monate im Jahr 2015 und während des akademischen Jahres 2017/2018 an dem Handbuch zu arbeiten. Außerdem förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Projekt, indem es eine Freistellung von allen Lehrverpflichtungen unterstützte (Oktober 2019 bis September 2020). Ohne derartige Förderungen ist es kaum möglich, ein solches Handbuch zu verfassen. Gleich zu Beginn des Vorworts richtet Hartwin Brandt Dankesworte an den Kölner Althistoriker Werner Eck, der das Manuskript begutachtet und sorgfältig studiert hat. Eck gilt als einer der profiliertesten Forscher der römischen Kaiserzeit. Im Literaturverzeichnis gibt es auf 4 Seiten Hinweise auf seine Publikationstätigkeit. Hartwin Brandt verfügt über immense Kenntnisse der gesamten römischen Kaiserzeit, denn er hat zwei Monographien über die Zeit von Diokletian bis zum Ende der konstantinischen Dynastie (284-363) (Berlin 1998) und über das Ende der Antike (München 2001) verfasst.

In der Einleitung (1-12) erläutert Hartwin Brandt seine Konzeption des Handbuchs. En passant erfährt der Leser, dass der spätere Kaiser Augustus sich nie Octavianus nannte, sondern nur Caesar. Gleich hier wird deutlich, dass sich Hartwin Brandt einerseits auf die antiken Quellen stützt, andererseits die aktuelle Forschungslage sehr gut kennt und für das Handbuch aufbereitet hat. Er möchte aber nicht „primär Zahlen, Daten und Fakten, also eine Summe und Ausbreitung sämtlichen verfügbaren positiven Wissens über die inneren und äußeren Geschehnisse und Verhältnisse zur Zeit des römischen Kaiserreiches“ bieten (5). Hartwin Brandt beabsichtigt „kein lexikonartiges Nachschlagewerk“ vorzulegen (5), „sondern eine in sich stimmige, durch ein stringent verfolgtes, argumentatives Konzept konsistente Gesamtdarstellung“ (5). Um es vorweg zu nehmen kann der Rezensent bereits an dieser Stelle mitteilen, dass Hartwin Brandt sein Ziel erreicht hat. Er erläutert auch, warum er Strukturen, Verhältnisse und Veränderungen in den Städten und Provinzen unberücksichtigt gelassen hat, die die Kaiser selten oder gar nicht aufgesucht haben (4). Vielmehr „setzt die vorliegende Darstellung auf ein variables, für die verschiedenen Kaiser je nach Überlieferungslage flexibel zu realisierendes, integriertes Konzept von Herrschaftsgeschichte, gelegentlich auch von Sozial-, Wirtschaft-, Kultur und Mentalitätsgeschichte, vor allem aber: auf die Analyse von Kommunikation und soziopolitischer Interaktion im weitesten Sinne“ (4). Hartwin Brandt erhebt keinen Totalitätsanspruch, sondern wählt je nach Bedarf aus dem breiten Spektrum an literarischen, epigraphischen, papyrologischen, numismatischen Quellen und archäologischen Denkmälern aus. Er rechtfertigt den Anfangspunkt, den das Jahr 31. v. Chr. darstellt, sowie das Jahr 284 n. Chr. als Schlussakkord (6f.). In dieser Rezension geht es nicht darum, viele Details aus dem Buch von Hartwin Brandt anzuführen oder gar zu kommentieren, vielmehr soll sie einige wichtige Eindrücke und einen Einblick gewähren - exemplarisch an drei Kaisern - wie der Verfasser des Handbuchs konzeptionell vorgegangen ist. Wenn der Autor eines Handbuchs wesentliche Erkenntnisse des aktuellen Forschungsstandes vermitteln soll, so ist es ihm gleichwohl gestattet, eigene Akzente zu setzen, auch bei der Wahl bestimmter Begriffe. So lehnt Hartwin Brandt die von Egon Flaig präferierten Ausdrücke „Akzeptanzsystem“ und „Akzeptanzmonarchie“ ab (9), sondern hat einen etwas schwerfällig anmutenden Ausdruck kreiert, nämlich: „Akzeptanzbedürfnissystem“ (9). Er meint damit folgendes: Realiter gab es keine Bemühungen, den von Augustus konzipierten Prinzipat zu verändern und eine neue Ordnung zu schaffen, „vielmehr waren es die individuellen Principes, welche in unterschiedlicher Art und Weise Akzeptanz für die eigene Person, ihre Familie und ihre besondere Form der Ausübung der Leitungsfunktion herstellen und erhalten mussten und dabei gelegentlich auch scheiterten“ (9).

Um die Akzeptanz der unterschiedlichen Gruppierungen in der damaligen Gesellschaft zu erreichen, war der jeweilige Prinzeps zur Kommunikation gezwungen. Diese beiden Kategorien gemeinsam mit den bereits angeführten verschiedenartigen Quellen sind die entscheidenden Merkmale dieses Handbuches.

Bevor ich auf die drei Kaiser (Augustus, Tiberius, Mark Aurel) zu sprechen komme, möchte ich einen kurzen Überblick über das Buch bieten. Der Aufbau richtet sich erwartungsgemäß nach chronologischen Gesichtspunkten. Im ersten Kapitel liefert Hartwin Brandt Informationen über die vorhandenen Quellen (13-35). Der erste Teil besteht aus einem Überblick, im zweiten Teil stellt er einzelne Autoren vor (21-34), von Aelius Aristides (21) bis Zosimos (34). Eine solche Übersicht ist für den Nutzer des Handbuchs hilfreich, denn er erfährt nicht nur grundlegende Informationen über die Autoren, sondern auch über wichtige Textausgaben und deutsche Übersetzungen. Im zweiten Kapitel wendet sich Hartwin Brandt dem ersten Kaiser der römischen Geschichte zu, nämlich Augustus (35-115), um sich im dritten Kapitel mit der julisch-claudischen Dynastie zu befassen (116-213). Die Repräsentanten dieser Epoche sind Tiberius (116-147), Caligula (147-168) und Nero (168-213). Das vierte Kapitel thematisiert das Vierkaiserjahr 68/69 n. Chr. (214-233). Danach stehen im fünften Kapitel die Flavier im Vordergrund (234-284). Die Adoptivkaiser sind die Hauptakteure der Zeit von 96 bis 180 n. Chr. (285-402). Die wichtigsten Kaiser waren Traian, Hadrian und Mark Aurel. Im siebten Kapitel stehen das Ende der Zeit der Adoptivkaiser und die Epoche der Severer im Fokus (403-481). Der Titel des achten Kapitels lautet: „Krise oder Transformation? Die Zeit der Soldatenkaiser (235-284) (482-585).

Der Anhang (589-707) enthält Karten, eine Zeittafel, Stammtafeln, Angaben zu Abkürzungen und ein sehr umfangreiches Literaturverzeichnis. Den Abschluss bilden das Stellenregister, das Personenregister sowie das allgemeine Register. Auch wenn das Literaturverzeichnis (619-670) sehr viele Titel enthält, stellt sich für den Autor stets die Frage, welche Publikationen aufgenommen werden und welche nicht. Diese Auswahl ist stets subjektiv, von einem Handbuch darf man aber erwarten, dass die entscheidenden Veröffentlichungen aufgeführt sind. Insgesamt hat Hartwin Brandt meines Erachtens maßgebliche Werke berücksichtigt.

Am Anfang des Kapitels über Augustus beginnt Hartwin Brandt mit Hinweisen auf die umfangreiche Quellenlage, die zu diesem Kaiser existiert, worauf der Autor ausführlich eingeht. Zunächst vermittelt er Informationen zu den antiken Quellen wie Sueton, Nikolaos von Damaskus, Velleius Paterculus, Flavius Josephus und vor allem Cassius Dio. Von großer Bedeutung, wenn auch teilweise einseitig, sind die zahlreichen Bemerkungen des Tacitus, und dies nicht nur im Fall des Prinzeps. Immer wieder greift Hartwin Brandt auf die Schrift des Augustus: Res gestae zurück. Vergessen werden auch nicht die augusteischen Dichter wie Vergil und Horaz. Besonderes Augenmerk verdienen nach Hartwin Brandt die zahlreichen Inschriften, die gerade im Zusammenhang mit der „medialen (Selbst-)Darstellung des Princeps und seine kommunikativen Intentionen, für den gesamten Komplex der Neuordnung der Verwaltung, die Prosopographie der senatorischen und ritterlichen Eliten und die Militärreformen“ stehen (35). Der erste Abschnitt des ersten Kapitels stellt die Bedeutung der Schlacht von Actium (31 v. Chr.) heraus; hierbei prüft Hartwin Brandt genau die antiken Quellen und gleicht sie mit den Befunden moderner Historiker ab. Werner Eck wurde bereits erwähnt, auch das zu einem Standardwerk avancierte Buch von Dietmar Kienast (Augustus. Prinzeps und Monarch. Darmstadt 1982, 42009 [nicht berücksichtigt hat Hartwin Brandt die 5. Auflage, Darmstadt 2014]) wird immer wieder zitiert.

Er zeichnet die weitere Entwicklung der folgenden Jahre genau nach, vor allem wie Augustus den Spagat geschafft hat, den Anschein zu erwecken, die alte res publica wieder herzustellen, und gleichzeitig seine Vormachtstellung als Prinzeps geschickt zu kaschieren. Dazu gelang es dem Herrscher, den einzelnen gesellschaftlichen Gruppierungen geschickt ihre jeweiligen Rollen zuzuordnen. Allerdings lässt sich nicht behaupten, dass Augustus von Anfang an gewusst hätte, wie sich das neue System des Prinzipats realisieren ließ, sondern es handelte sich um eine dynamische Entwicklung. Dabei war entscheidend, dass der Nachfolger Caesars allgemeine Akzeptanz erzeugte. In den sich daran anschließenden Abschnitten geht Hartwin Brandt näher auf die Krisen und Auswege, auf die Pax Augusta und auf das Verhältnis des Augustus zum römischen Reich ein. Dieser Kaiser verstand es meisterhaft, sich selbst öffentlich wirksam darzustellen bzw. darstellen zu lassen. Paul Zanker hat uns in seinem wegweisenden Buch erläutert, dass Augustus erkannt hat, welche Wirkung Bilder auf seine Zeitgenossen erzielten (Augustus und die Macht der Bilder. München 1987). Hartwin Brandt entwirft eine lebendige Skizze vom Leben des Kaisers, der immer wieder erfahren musste, dass ein möglicher Nachfolger verstarb, bis schließlich die Wahl auf Tiberius fiel, eine Person, die Augustus offensichtlich nicht für geeignet hielt. Die Rolle von Individuen wird beleuchtet, stets unter Rückgriff auf die antiken Quellen und die moderne Forschung. In Fällen, in denen die Sachlage nicht eindeutig ist, benennt Hartwin Brandt diesen Umstand. Als Beispiel möchte ich den Ort der Varus-Schlacht anführen, den manche Historiker und Archäologen in der Nähe von Kalkriese vermuten. Hartwin Brandt verweist auf die entscheidenden antiken Quellen und auf die jüngsten Studien zu diesem Thema und benutzt dabei das Wort „vielleicht“ (69). An mehreren Stellen seiner Ausführungen hebt er darauf ab, dass Augustus gezwungen war, die Vertreter wichtiger gesellschaftlicher Gruppen wie Senatoren, Ritter und Eliten in den Provinzen „als repräsentationsorientierte Statusgruppen“ ernst zu nehmen und „an der politisch-militärischen Praxis“ zu beteiligen, ohne die eigene Machtposition in Gefahr zu bringen (72). Ihm ist es nach Hartwin Brandt auch gelungen, „dass der Princeps die für ihn unverzichtbare Verfügungsgewalt über die militärischen Ressourcen in republikanische Formen“ zu kleiden (72). Ein wesentliches Moment der Selbstdarstellung manifestiert sich in der Bautätigkeit, die bereits beim jungen Prinzeps zu beobachten ist. Dem hat schon Sueton Rechnung getragen, als er feststellte, dass Augustus eine Stadt aus Marmor hinterlassen habe, während er eine aus Ziegeln vorgefunden habe (Suet. Aug. 28,3). Hartwin Brandt liefert einige Details dieser Bautätigkeit, wobei der Abschnitt den Titel: Die Monarchisierung des Stadtbildes trägt (98-108). Er skizziert im Anschluss daran die Ideologie des augusteischen Prinzipats und stellt die von Augustus bevorzugten Götter vor (109-115). Der Verfasser des Handbuchs zeichnet ein eindrucksvolles Bild des Kaisers Augustus nach, ohne dessen Schwächen auszublenden. Im Gegensatz zu einigen antiken Autoren entsteht kein einseitiges Bild des Begründers des Prinzipats. Auf Gegenwartsbezüge und Vergleiche mit aktuellen Herrschern verzichtet Hartwin Brandt. Ihm geht es darum, ein umfassendes Bild des Herrschers dem Leser zu vermitteln.

Im Falle des Tiberius ist die Quellenlage besonders gut. Tacitus, Cassio Dio, Sueton und Velleius Paterculus seien als Autoren genannt, die Einzelheiten zu Leben und Tätigkeit des Nachfolgers von Augustus vermitteln. Hartwin Brandt weist ausdrücklich auf die große Bedeutung der epigraphischen Dokumente hin und nennt zum Beispiel die Tabula Hebana, die Tabula Siarensis sowie das senatus consultum de Cn. Pisone patre (116/117). Im Gegensatz zu Augustus wird Tiberius meist negativ beurteilt, außer bei Velleius Paterculus. Den Quellen nach galt dieser Kaiser als Nachfolger nur als zweite Wahl, Augustus hatte sich eigentlich seine beiden Enkel und Adoptivsöhne C. und L. Caesar gewünscht, die aber frühzeitig starben. Obwohl Tiberius nach Aussagen des Tacitus die Taten und Worte des Augustus wie ein Gesetz beachtete (Tac. Ann. 4,37,3), gelang es ihm nicht an die Erfolge seines Vorgängers anzuknüpfen. Vor allem schaffte er es nicht, allseitige Akzeptanz zu erfahren. Auch Tiberius machte sich früh Gedanken über seinen Nachfolger, aber sowohl Germanicus als auch sein Sohn Drusus (minor) Caesar verstarben. Im Falle des letzteren gab es Gerüchte über eine Vergiftung durch den eigenen Vater, aber die antiken Quellen schlossen auch einen natürlichen Tod nicht aus (132). Tacitus und Cassius Dio überlieferten die Nachricht, Livilla, die Frau des Drusus, sei gemeinsam mit ihrem Liebhaber, dem Prätorianerpräfekten L. Aelius Seianus, für den Tod des Tiberius verantwortlich (132). Dieser war nach dem Rückzug des Kaisers auf die Insel Capri (26 n. Chr.) der einflussreichste Politiker in Rom gewesen (133-145). Ob er an einer Verschwörung gegen Tiberius beteiligt war, ist für Hartwin Brandt nicht plausibel, obwohl mehrere antike Autoren darüber berichten (Sueton, Josephus Flavius, 144). Das Bild dieses Kaisers ist ambivalent, er hatte vor seinem Amtsantritt beachtliche militärische Erfolge zu verzeichnen, auch in der Verwaltung der Provinzen kann man ihm erfolgreiches Wirken attestieren. Obgleich er die letzten 11 Jahre seines Lebens nicht in Rom weilte, sondern auf Capri, hat er seine Regierungsgeschäfte nicht vernachlässigt. Die Gründe für seine negative Beurteilung der meisten antiken Autoren sind vielfältig. Hartwin Brandt vertritt die Auffassung, Tiberius habe „die Möglichkeiten, über eine anspielungsreiche Baupolitik eine eigene «imago» zu entwickeln und damit die eigene Herrschaft in besonders eindringlicher Weise zu legitimieren, nicht genutzt“ (141). Er arbeitet deutlich heraus, dass Tiberius nicht in der Lage war, angemessen mit den verschiedenen einflussreichen gesellschaftlichen Gruppierungen zu kommunizieren. Palastintrigen, die bereits erwähnte Verschwörung des Seianus und die Beseitigung römischer Senatoren in zahlreichen Majestätsprozessen (136) sind weitere mögliche Gründe für die Ablehnung dieses Herrschers. Vergessen darf man indes nicht, dass Tiberius nicht nur Senatoren zu seinen Freunden (amici) zählte, sondern auch Ritter und Personen „unterhalb der aristokratischen Ebene wie den Astrologen Ti. Claudius Thrasyllus“ 135). Hartwin Brandt geht auch den überlieferten Umständen des Todes von Tiberius nach und wertet zu Recht die Quellen behutsam aus. Dass die römische Bevölkerung angeblich den Wunsch gehabt habe, Tiberius in den Tiber zu werfen (Tiberium in Tiberim! Suet. Tib. 75,1), könnte ein Indiz dafür sein, dass er die Akzeptanz des Volkes komplett verloren hatte.

Insgesamt wägt Hartwin Brandt die Informationen der unterschiedlichen antiken Quellen unter Berücksichtigung der neueren Forschung angemessen ab. Die jüngst erschienene Studie von Holger Sonnabend (Tiberius, Kaiser ohne Volk. WBG: Darmstadt 2021) konnte er allerdings noch nicht einsehen. Michael Mause macht darauf aufmerksam, dass Holger Sonnabend davor warnt, die einseitige kritische Perspektive der genannten Autoren auf Tiberius einfach zu übernehmen, sondern den Rat erteilt, „zwischen den Zeilen zu lesen“ (Michael Mause in seiner Rezension zum Buch von H. Sonnabend, in: Forum Classicum, Heft 3, 2021, 229).

Ich komme nun zum dritten Kaiser, über den einige Beobachtungen im Handbuch getroffen wurden: zu Mark Aurel. In diesem Fall gibt es ebenfalls eine gute Quellenlage und zahlreiche Veröffentlichungen, auch aus jüngster Zeit. Neben Cassius Dio sind als weitere Quellen die Historia Augusta, Fronto und Eusebius zu nennen. Auch Herodian liefert interessante Details zum Leben des Mark Aurel. Hartwin Brandt hat aus gutem Grund die antiken Quellen zu Lucius Verus berücksichtigt, der einige Jahre gemeinsam mit seinem Adoptivbruder und Schwiegervater als Kaiser bis zu seinem Tod mitregierte (bis 169 n. Chr.), in Form eines Doppelprinzipats, der auch als Samtherrschaft bezeichnet wurde (380ff.). Nicht zuletzt wegen seines philosophischen Werks: Selbstbetrachtungen haben bereits die Zeitgenossen Mark Aurel respektiert und bewundert. Er genoss sogar hohe Verehrung. Hartwin Brandt weist mit voller Berechtigung darauf hin, dass auch andere Facetten beachtet werden sollten. „Mark Aurel war so wenig ein dem Kriegsgeschehen abgeneigter, vergeistigter Philosophenkaiser wie Antoninus Pius ein pazifistisch gesonnener Friedensherrscher. Die bereits in der antiken Geschichtsschreibung verbreitete und in der modernen Forschung bisweilen geteilte Neigung, Mark Aurels Selbst- und Rollenverständnis als Kaiser mit Hilfe seiner «Selbstbetrachtungen» und zeitgenössischer philosophischer Anschauungen zu bestimmen – hier wäre vor allem die «Zweite Sophistik» zu nennen – führt zu Fehleinschätzungen“ (383). Quellen wie Inschriften, Münzen und archäologische Denkmäler beweisen, dass Mark Aurel durchaus seine Aufgaben im militärischen Sektor wahrgenommen hat (383/384). Hartwin Brandt arbeitet einerseits markante ältere Publikationen in seine Darstellung ein, wie etwa die bedeutende Studie von A.R. Birley (Marcus Aurelius. A Biography. 2. Aufl. London 1987), andererseits aber auch Veröffentlichungen jüngeren Datums (Klaus Rosen, Marc Aurel. Reinbek 1997; Jörg Fündling, Marc Aurel. Darmstadt 2008; Alexander Demandt, Marc Aurel. Der Kaiser und seine Welt. München 2018). Wie auch bei den anderen Kaisern greift Hartwin Brandt nicht nur auf literarische Quellen zurück, sondern auch auf numismatische, archäologische und weitere Dokumente wie Kunstwerke zurück. Ähnlich wie Augustus verstand es Mark Aurel meisterhaft, sich in Szene zu setzen und mit seinen Zeitgenossen angemessen und erfolgreich zu kommunizieren. So wurde er von Senat und Volk in einer Inschrift (CIL 6, 1014) als größter Imperator gerühmt (391). Seine Akzeptanz stand außer Frage.

Hartwin Brandt legt ein äußerst wichtiges und nützliches Instrumentarium für diejenigen vor, die sich mit der römischen Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian intensiv auseinandersetzen möchten. Ihm ist es gelungen, ein sehr gut lesbares Handbuch zu verfassen, in dem er zu vielen Details eine klare Position bezieht und eine eindeutige Wertung vornimmt. Hartwin Brandt gebührt größte Anerkennung für seine Zeit und Mühe, die er für die Publikation eines solchen Opus auf sich genommen hat. Wie auch die anderen Handbücher dieser Reihe kann man in diesem Werk faktensichere Informationen abrufen, die auf einer soliden wissenschaftlichen Basis beruhen. Dank gebührt auch dem Lektorat des C. H. Beck Verlages für die äußerst akribische Drucklegung. Die Anschaffung dieses Handbuchs ist uneingeschränkt zu empfehlen.

Rezensent: Dietmar Schmitz

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Peggy Leiverkus, Essensdarstellungen in Ovids Metamorphosen, Wuppertal: Polyphem-Verlag 2021 (Studia Montana) – 449 S. – ISBN 978-3-96954-003-9

Mit Peter Paul Rubens’ Jupiter und Merkur bei Philemon und Baucis als Covermotiv lädt Peggy Leiverkus ihre Leser*innen zu einer der bekanntesten Gastmahlszenen der römischen Literatur, gleichzeitig zu einer von vier ovidischen Essensschilderungen ein, die im Zentrum ihrer ebenso ausführlichen wie grundlegenden Monographie stehen. Dem, was sie ‚anrichtet‘ und ‚auftischt‘, liegt die von Stefan Freund betreute, von Christoph Schubert zweitbegutachtete und 2019 an der Bergischen Universität Wuppertal angenommene Dissertation der Verfasserin zugrunde. Besondere Erwähnung verdient die Wahl von Publikationshaus und -ort: Der noch junge Wuppertaler Polyphem-Verlag (https://www.polyphem-verlag.de/) gehört Peggy Leiverkus und ihrem Mann Patrick, der es übernommen hat (9) „[a]us dem Manuskript ein Buch zu machen, […] eine Kunst und bisweilen eine Plage.“ Das Resultat kann sich sehen lassen: Mit Liebe zum Detail, entwickeltem Fachwissen, philologischem Gespür und ohne je die großen Linien aus dem Blick zu verlieren, konzentriert sich die Autorin in vier ausgewogenen Kapiteln werkchronologisch auf aussagekräftige Passagen von sehr unterschiedlicher Länge aus den Metamorphosen. Sie setzt mit „Paradies oder Entbehrung? – Ovids goldenes Zeitalter (met. 1, 101-112)“ in der aurea aetas ein (unter Einbezug von Vergil, Horaz und Tibull), präsentiert „Römische pietas in drei Gängen – das Gastmahl bei Philemon und Baucis (met. 8, 626-724)“, wirft die im Gedächtnis bleibende Frage „Erdbeeren statt Menschenfleisch? – Polyphems Liebesgaben (met. 13, 812-837)“ auf und handelt schließlich „Über den Frevel des entarteten Bauches – die Rede des Pythagoras (met. 15, 75-478)“.

Dabei stellt Peggy Leiverkus überzeugend und nachvollziehbar Bezüge kompositorischer und inhaltlicher Natur zwischen den Episoden her und macht durchgehend die Rückbindung an mögliche Vorläufer und deren Einflüsse, aber auch Ovids ganz eigene Technik sichtbar: So liefert sie für das Goldene Zeitalter einen literaturgeschichtlichen Abriss von Hesiod bis Lukrez und eine kulturgeschichtliche Darstellung zu Weltaltermythen (Deszendenz, Aszendenz, Dialektik), verortet Philemon und Baucis motivgeschichtlich im Komplex der Theoxenie von der Genesis (mit hebräischem Text 166, nn. 21-22) über die griechische Literatur bis zu weiteren ovidischen Beispielen (aus den Fasti), präsentiert die verschiedenen ‚Polypheme‘ von Homer bis Nikochares zzgl. Schwerpunkt auf Theokrit und Vergil und gibt einen umfassenden Überblick über die Vegetarismusdebatte (mit Konzentration auf Empedokles und Theophrast). Nicht weniger als 23 Tabellen und (z.T. auch farblich) visuell hervorgebobene parallele Formulierungen ermöglichen den mühelosen Nachvollzug der Vielfalt des Gebotenen. Der weitgehend analoge Aufbau der vier Großkapitel und zahlreiche Rück- und Vorverweise unterstützen bei der raschen und zielgerichteten Orientierung in der umfangreichen Studie. Ein reichhaltiges und gut sortiertes Literaturverzeichnis und ein umfangreicher Index locorum (alphabetisch sortiert von Antiphanes bis Xenophanes) sind essentielle Hilfsmittel, die zugleich Einblick in den breiten Horizont der Verfasserin geben, aus dem – abgestimmt auf das Generalthema der Arbeit – eine systematische inhaltliche wie sprachliche, zuweilen auch textkritische Analyse in gut verdaulichen Portionen resultiert.

Als eine Art ‚Aperitif‘ ist dem ‚Hauptgang‘ – den vier Kapiteln zu den Metamorphosen – eine ‚Vorspeise‘ vorgeschaltet. Zu diesen ‚Appetizern‘ gehören neben dem erfrischenden Motto aus Herbert Grönemeyers Currywurst (11) „Gehse inne Stadt | Wat macht dich da satt | ’Ne Currywurst | Kommse vonne Schicht | Wat Schönret gibt et nich | Als wie Currywurst“  und konzisen „Vorbemerkungen“ (von Petron bis zum Epos) zunächst „Essensdarstellungen als Thema in der römischen Literatur“ (von Plautus bis Plinius). Es folgen ein ausführlicher „Forschungsüberblick“ (darunter „Soziologische und anthropologische Grundlagen“, „Forschungsansätze zum Essen und zur Ernährung in der Antike“, „Soziokulturelle Faktoren von Essen in der römischen Welt“ und „Essen als literarisches Motiv“) und eine Abrundung durch „Darstellungen von Essen in den Metamorphosen“, die Peggy Leiverkus wie ihre ganze Untersuchung als streng „[s]ystematische[n] Überblick“ anlegt.

Die Fülle des Materials bedingt es, dass manche Fußnote gleichsam Spezialstudien, wesentliche side steps zu den klugen Beobachtungen im Haupttext, enthält (z.B. 79-80, nn. 57-58 zu Empedokles und Hesiod). Desgleichen finden sich passim ausführliche Volltextzitate in den Fußnoten, die den Lesefluss der Interpretation unterbrechen würden, aber unerlässlich sind für ein möglichst vollständiges Erfassen der komplexen Materie. Somit besticht Peggy Leiverkus’ Arbeit neben neuen und stringent argumentierten Sichtweisen auf scheinbar bekannte (und vielleicht schon als ausinterpretiert angesehene) Episoden der Metamorphosen durch ein wohldosiertes Verhältnis von Kern- und Zusatzinformation – eine (Appetit)anregung zu Anschlussforschung. Wenn das so umgesetzt ist wie hier, dann dürfen Fußnoten durchaus beträchtliche Länge aufweisen.

Ovidische Spezifika sind kontinuierlich in kritischer Auseinandersetzung mit der (oft nahezu unüberschaubar gewordenen) Sekundärliteratur herausgearbeitet, zumal gerade im die Verfasserin besonders interessierenden Themenspektrum das weite Feld des Agrarwesens – Ackerbau ebenso wie Viehzucht –, aber auch die (allein schon terminologisch nicht immer unkomplizierten) Fachbereiche von Botanik und Zoologie in extenso zu berücksichtigen sind. Hiezu zieht sie gewinnbringend die entsprechende (landwirtschaftliche und enzyklopädische) Fachliteratur (v.a. Varros De re rustica, aber auch Plinius’ Naturalis historia) heran.

Nach der anregenden und abwechslungsreichen Lektüre von Peggy Leiverkus’ ‚Speisekarte‘ ist man Spezialist*in für Kornelkirschen, Erdbeerbäume (im Unterschied zu den [Wald]erdbeeren) und  herbae (mit einer umfangreichen Begriffsgeschichte 126-128, n. 288). Man ist informiert über (überwiegend negativ eingestufte oder verhinderte) Tieropfer – Pythagoras macht sich mit Verve, Emotionalität und philosophischen Argumenten zum Anwalt der Mitgeschöpfe, die Gans von Philemon und Baucis darf weiterleben wie einst (zumindest zwischenzeitlich) der Widder des Molorchos in Kallimachos’ Aitia. Weiters wird man unterrichtet über die Lagerung von Schweinespeck und Dörrfleisch, über Eicheln (als [tierisches] Nahrungsmotiv) und über die Zubereitung von in Asche gegarten Eiern (mit einem doppelten Verweis auf Martial, der sich hiebei ausschließlich an Ovid anlehnt: 203, n. 199). Schließlich lernt man simple und gerade deswegen köstliche Gerichte kennen und erfährt so manches über anerzogenen Geschmack, der von der jeweiligen gesellschaftlichen Schichtenzugehörigkeit, aber auch vom finanziellen Vermögen abhängt – eine Vorform (oder Spielart) des Gegensatzes von Glutamat, Palmöl und künstlichen Aromen auf der einen und Bio-Nahrungsmitteln auf der anderen Seite. Man kann sich – um im Bild zu bleiben – durch die ganze Palette, sozusagen ab ovo usque ad mala, durchkosten oder (nur) einzelnes probieren: Das ‚Geschmackserlebnis‘ wird ein bleibendes sein.

Als Leser*in von Peggy Leiverkus erfährt man (oder fühlt sich darin bestätigt), dass Ovid vielfach multiperspektivisch, v.a. aber gegen den mainstream gelesen werden will: Sein Konzept der aurea aetas ist nicht (im naturwissenschaftlichen Sinn) eineindeutig; zivilisatorischer Fortschritt und Sehnsucht nach der ‚guten alten Zeit‘ (oder dem, was man darunter verstehen wollte) stehen gleichberechtigt nebeneinander; Ernährung hat durchaus mit (recht eindeutig römischer oder romanisierter) Moral(isierung) zu tun, wenngleich Ovids Essensdarstellungen aufgrund ironischer Brechung und damit einhergehender Distanzierung mehrdeutig bleiben (375): „Offenbar hat er sich bewusst dafür entschieden, sich auf dieses politisch aktuelle Feld zu begeben, aber auch dafür, nicht eindeutig Stellung zu beziehen.“ (Das hat u.a. den positiven Effekt, dass erhitzte wissenschaftliche Diskussionen darüber, ob Ovid im Gefolge des Pythagoras als eine Art Protovegetarier oder -veganer gesehen werden kann, vergnügt weitergehen dürfen und im Sinne des Meinungspluralismus und der akademischen Streitkultur die [philologische] Disziplin voranbringen.) Zudem erweist die Verfasserin Ovid als Meister der Gattungsmischung: Polyphems einseitig bleibende Liebe zu Galatea weist Schnittflächen zur (vergilischen) Bukolik auf, ist doch auch der einäugige Riese Hirte – im übrigen ein sehr römischer im Vergleich zu den griechischen Darstellungen. Ovids flirrende Doppelbödigkeit und ebenso psychologisierende wie genderspezifische Darstellung zeigt sich an der bestechenden Gegenüberstellung von Polyphems und Galateas abweichenden, v.a. aber völlig inkompatiblen Sichtweisen auf (gutes) Essen (290–291); daraus resultieren Missverständnisse, die wechselseitiges Verstehen und Verständnis verunmöglichen – und nicht zuletzt sind Bezugspunkte zur Satire vorhanden (372): „Das Gastmahl von Philemon und Baucis ist ein auf die Spitze getriebenes Musterbeispiel römischer frugalitas und pietas, Polyphem ist ein barbarischer Gourmet, Pythagoras ein wütender Moralapostel.“

Zutreffende Zuspitzungen wie diese – allesamt in den „Schlussbemerkungen“, sozusagen der ‚Nachspeise‘ – bleiben in Erinnerung und regen zum Nachdenken über die unzähligen Facetten an, die Peggy Leiverkus in großer Belesenheit und mit Feingefühl für den (Sub)text en détail interpretiert. „Essensdarstellungen in Ovids Metamorphosen“ werden ausschließlich über „Books on Demand, Norderstedt“ geliefert. Dem geschmackvollen Buch ist zu wünschen, dass dieses ‚Lieferservice‘ von möglichst vielen literarisch (und sozial- und kulturhistorisch interessierten) Gourmets in Anspruch genommen werden möge.

[cf. Wiener Studien – Rezensionen 134 (2021), 123-124 =  https://doi.org/10.1553/wst_134]

Sonja Schreiner

Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein
Universität Wien
Universitätsring 1
A-1010 Wien 
https://klassischephilologie.univie.ac.at/ueber-uns/mitarbeiterinnen/neulateinische-philologie/sonja-schreiner/Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
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Leiverkus

Marion Giebel: Julian Apostata, Rede zu Ehren der Kaiserin Eusebia, zweisprachige Ausgabe, Speyer: Kartoffeldruck-Verlag 2021 (Opuscula 1) 100 S., 4, -- €[i]

Kai Brodersen: Symeon Seth, Fabelbuch, griechisch und deutsch, Speyer: Kartoffeldruck-Verlag 2021 (Opuscula 2) 172 S., 6,-- €

Gleich zwei Bücher, aber für einen Preis, für den man normalerweise bei weitem nicht einmal eines bekommt: Kai Brodersen hat sich mit dem von ihm begründeten und betriebenen Kartoffeldruck-Verlag (https://www.kai-brodersen.eu/kartoffeldruck-verlag/) vorgenommen, „zum reinen Selbstkostenpreis – in kleiner Auflage Bücher für Expertinnen und Experten in Altertumswissenschaft und Schule“ zu publizieren und damit Texten eine Leserschaft zu verschaffen, die von kommerziellen Zwängen unterworfenen (Groß)-Verlagen kaum angefasst würden (aber sie sind ganz regulär über den stationären und digitalen Buchhandel erhältlich).

Marion Giebel muss man hier nicht vorstellen (vgl. die Würdigung durch Friedrich Maier im 2019 im Forum Classicum: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/fc/article/view/64756/57610), ihr Interesse an der Antike erstreckt sich von Homer bis zu Julian (mit dem von der christlichen Tradition verliehenen despektierlichen Beinamen Apostata), dem sie bereits 2002 eine biographische Darstellung gewidmet hatte. Nun befasst sie sich mit der Dankesrede Julians auf Eusebia (ca. 356/357 n.Chr), die als Gattin des Kaisers Constantius II ihn bei seiner politischen Karriere (noch war er allerdings nicht Kaiser) sehr unterstützte.

Das Büchlein weist all die Tugenden auf, die seit jeher die Publikationen Marion Giebels auszeichnen: eine konzise Einleitung, in der sie die Gattung des panegyricus vorstellt, sodann auf die Biographie Julians eingeht sowie speziell seine Beziehung zu Eusebia – all das mit Verweisen auf grundlegende und aktuelle Sekundärliteratur untermauert. Den Hauptteil (S. 15-81( bildet die griechisch-deutsche Rede selbst, wobei die Übersetzung in der von Marion Giebel gewohnten Qualität textnah und verständlich (auch ohne Beiziehung des Originals) ausgefallen ist und durch Anmerkungen unterstützt ist. Es schließt sich ein Anhang mit Parallelzeugnissen (Ammian, Libanios, Zosimos) an, bevor ein dreiseitiges Literaturverzeichnis das Buch beschließt.

Marion Giebels Ausgabe ermöglicht es, zu einem mehr als fairen Preis den Einstieg in eine Epoche zu finden, die viele Studierende und Lehrende der Altertumswissenschaften immer noch leichtfertig beiseitelassen, nicht ahnend, was sie dadurch verpassen. Und wer sich einmal darauf eingelassen hat, der wird womöglich mehr über die Spätantike und das sich anschließende Frühe Mittelalter wissen wollen – vielleicht folgen auf die 100 Seiten Marion Giebel die 1500 Seiten Mischa Meier. Das Julian-Buch also als Einstiegsdroge in die Spätantike – warum nicht?

Kai Brodersen, der Verleger und Reihenherausgeber, seinerseits hat – zu Ehren von Niklas Holzberg und dessen Arbeiten zur antiken Fabel – eine aus dem indisch-iranischen Raum stammende, arabisch überlieferte, im Mittelalter durch den Gelehrten Symeon Seth in byzantinisches Griechisch übersetzte Fabelsammlung aus den Tiefen der Wissensarchive geholt. Diese Wiederentdeckung bereichert das vor allem durch Äsop/Phaedrus geprägte Bild von der antiken Fabel und zeigt, dass es auch außerhalb der äsopische Tradition wichtige und mit Gewinn zu berücksichtigende Formen dieser Gattung gibt. Der Text im Umfang von je ca. achtzig Seiten (griechisch und deutsch, synoptisch angeordnet), verteilt auf zwei Teile, präsentiert einen in eine Rahmenerzählung eingebundenen Fürstenspiegel, in dem die Tiere durchaus nicht nur positiv gezeichnete Abbilder der Menschen sind: ein seiner selbst ungewisser Löwe als König, zwei Schakale als nicht uneigennützige Ratgeber, ein Stier, dem seine Kraft nichts nützt und der letztlich der Angst des Löwen zum Opfer fällt. In diese Haupthandlung eingelegt sind eine ganze Reihe von Exempeln, die vor allem von den Schakalen erzählt werden und die weitere, hierarchisch niedrigere Tiere (manchmal aber auch Menschen) als Handlungsträger haben. Die moralische Botschaft ist alles andere als eindeutig und gerade deshalb sehr reizvoll zu lesen: Es gibt nicht einfach Gut und Böse, Schwarz und Weiß, sondern viele Abschattierungen – und letztlich sind ethische Fragen doch wieder Machtfragen.

Mit der Reihe „Opuscula“ aus dem Kartoffeldruck-Verlag erhält das Publikum die Chance, sich für wenig Geld ein unbekanntes Terrain zu erschließen und wieder einmal festzustellen, welch reiche Schätze die Literatur der Antike und der antiken Tradition enthält – der Blick über den sich immer mehr verengenden Schulkanon hinaus wird vielfach belohnt. Kai Brodersen und Marion Giebel sei dafür herzliche gedankt.

Ulrich Schmitzer (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

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Michael von Albrecht, Sermones. Satiren zur Gegenwart. Lateinisch und Deutsch. Ars Didactica Bd. 8. Hrsg. von Hans-Joachim Glücklich. Propylaeum: Heidelberg 2021. EUR 36, 90 (ISBN 978-3-96929-026-2)

Michael von Albrecht gilt als einer der profiliertesten Klassischen Philologen im deutschsprachigen Raum. Bekannt ist seine Geschichte der römischen Literatur. Von Andronicus bis Boethius (in mehreren Auflagen erschienen, in zahlreiche Sprachen übersetzt). Allen Studentinnen und Studenten zur Lektüre empfohlen sind die beiden Bücher Meister der römischen Prosa. Von Cato bis Apuleius und Römische Poesie. Texte und Interpretationen (ebenfalls jeweils mehrere Auflagen) sowie einschlägige Publikationen zu Lukrez, Ovid, Seneca und Vergil. Häufig werden dabei auch Rezeptionsdokumente berücksichtigt. Michael von Albrecht ist auch als Übersetzer zahlreicher römischer Autoren aufgetreten. Weniger bekannt ist allerdings, dass er einer der bedeutendsten lebenden Dichter in lateinischer Sprache ist. Er hat Oden, Elegien und Epigramme verfasst, jetzt sind seine Satiren erschienen. Michael von Albrecht hat sich Horaz als Vorbild genommen, denn seine Sermones orientieren sich durch die Wahl der Zehnzahl, ihre Verknüpfung von „moralischer Ernsthaftigkeit und humaner Heiterkeit“ (Michael Lobe, 121) an dem großen augustäischen Dichter. Natürlich kennt er die Meister römischer Satiren, angefangen bei Ennius, der sich mehrerer Versmaße bediente, über Lucilius, der den Hexameter für seine Dichtungen bevorzugte, bis Persius und Iuvenal.

Die Themen der Sermones/Satiren, überwiegend als Dialoge gestaltet, sind vielfältig und aktuell. Die Titel dieser Texte belegen dies: Neugier, Lebensmittelvergeudung, Hunde, Zukunftsforschung, Umwelt, Corona, Waffen, Wahrheit, Nützlichkeit alter Leute sowie Reklame.

Das Besondere an dem angezeigten Buch ist einerseits, dass ein heutiger Dichter sich der lateinischen Sprache bedient. Dies tut er in souveräner Art und Weise, denn viele Begriffe müssen in dieser Sprache neu geschaffen werden, also durch Neologismen. Andererseits liefert er eine Übersetzung ins Deutsche gleich mit. Dass Michael von Albrecht diese Sprache ebenfalls meisterhaft beherrscht, geht aus jedem Vers hervor. Dazu verwendet er den sogenannten Blankvers, der für die deutsche Sprache angemessener ist als der Hexameter.

Im Vorwort betont Hans-Joachim Glücklich, der Herausgeber des Buches, dass Michael von Albrecht „die Rolle eines Zeitbeobachters und Satirikers“ einnimmt (7). Er hat die Fähigkeit, genau hinzusehen, in die Gesellschaft gewissermaßen hineinzuhorchen, seine Beobachtungen klug und witzig zu formulieren, ohne verletzend zu sein. Das gesamte Buch ist ein Plädoyer zum Erlernen der lateinischen Sprache, stellt aber auch einen Anreiz dar, sich mit antiken Themen zu befassen, die bis in die heutige Zeit aktuell sind. „Latein ist eine besonders schöne Sprache, man muss sie nur zum Klingen bringen. Dann versetzen die rhythmischen Verse und ihre Laute den Leser in Schwingungen“ (Hans-Joachim Glücklich, Vorwort 7). 

Ein Textbeispiel mag belegen, wie souverän der Dichter mit den Themen, der lateinischen und der deutschen Sprache umgeht. Am Ende der dritten Satire, in der Michael von Albrecht auch auf Elemente der Fabel zurückgreift, hier in Anlehnung an die berühmte Fabel von der Stadtmaus und der Landmaus (Horaz), beschreibt er ein Hundeparadies. Zitiert werden die letzten Verse, 125-130:

Elysium hoc latrantum ubi sit, si forte requires,
vix animum induces: Clara reperitur in urbe
Afrorum, promunturiis ubi Spes Bona custos.
Africa, sunt populi innumeri tibi, mater, egentes,
Das catulo luxus, homini ieiunia linquis.
O Spesne ulla Bona est, in te quam ponere possim?

Fragst du, wo dieses Hundeparadies
denn sei? Du kommst nicht drauf: In Kapstadt ist’s,
ganz nah am Kap der Guten Hoffnung, Ach!
Gibst Hunden Luxus, Menschen lässt du darben.
Bleibt da ein Plätzchen noch für gute Hoffnung?

Hier stoßen Welten aufeinander, der Dichter wählt ausgerechnet den Gegensatz zwischen einem Hundeparadies und den Townships in Kapstadt. Für Michael Lobe, der die Einführung in die Satiren verfasst hat und eine Gesamtinterpretation liefert (119-127), handelt es sich um eine „dekadente Perversion“, die sich durch rhetorische Brillanz auszeichnet.

In der zweiten Satire, in dem die Lebensmittelvergeudung angeprangert wird, benutzt der Dichter für den Begriff Kaffee caffaea (Sat.II, V.11; es gibt in der neulateinischen Terminologie auch als Übersetzungsvorschläge: potio Arabica, coffeum, coffea). Kaffee gab es in der Antike bekanntlich nicht, und so müssen Neologismen verwendet werden.

In der fünften Satire wird der Umgang der Menschheit mit der Umwelt thematisiert. Dabei geht der Dichter auch auf das Faktum ein, dass viel Plastik in den Weltmeeren landet und der dortigen Tierwelt und damit letztendlich auch dem Menschen großen Schaden zufügt. Plastik ist ein Kunststoff, der in der Antike nicht hergestellt werden konnte. Michael von Albrecht wählt für Plastikmüll den lateinischen Ausdruck plastica materies (Sat. V, V. 41). Es gibt auch die Kombination materia plastica. Bei der Wahl der lateinischen Lexeme ist stets zu bedenken, dass sie in den Hexameter passen müssen.

Ein letztes Beispiel ist der zehnten Satire entnommen. Dort spricht der Dichter über Kühlschränke, die es natürlich in der Antike nicht gab; er benutzt die Kombination: armaria frigida (Sat. X, V. 98). Auch in diesem Fall gelingt es ihm meisterhaft, einen passenden Ausdruck zu finden (möglich wäre auch: armarium frigidarium, apparatus frigorificus oder einfach frigidarium). Aber, wie oben schon erwähnt, muss die Neuschöpfung am Hexameter orientiert sein.

Das Buch hat einen vielfältigen Blick auf verschiedene Leser; solche, die die lateinische Sprache beherrschen, solche, die dankbar sind für eine Übersetzung, und die Leserinnen und Leser, die sich gerne bei der Lektüre anleiten lassen. Dazu dienen einerseits die bereits erwähnte Gesamtinterpretation von Michael Lobe, andererseits die Methodischen Vorschläge zur genussreichen Lektüre der Sermones im Lateinunterricht, die der Herausgeber beisteuert (129-142). Zusätzlich bieten der Dichter und Michael Lobe Hilfen an, um einzelne Textstellen besser einordnen zu können: Adnotationes. Anmerkungen und Erläuterungen zu den Sermones (109-117). Das Verzeichnis der Eigennamen (143-156) stammt vom Dichter höchstpersönlich und belegt ein weiteres Mal seine große Belesenheit und die außergewöhnlichen Kenntnisse der griechisch-römischen Welt.

Michael Lobe sieht in dem Satirenbuch einerseits „ein kritisch-humorvolles Panoptikum unserer Gegenwart, ihrer Probleme, Versäumnisse und Dummheiten“ (121), glaubt andererseits, dass es „durchzogen ist von unaufdringlicher philosophischer Altersweisheit – kulminierend in der achten Satire mit ihrer zentralen Frage nach dem Wesen der Wahrheit“ (121).

Wir können dem Dichter Michael von Albrecht großen Dank aussprechen, dass er uns mit diesen Texten reich beschenkt hat. Sie enthalten viel Anregendes, Kritisches, Nachdenkliches, Witziges und zeichnen sich durch große Virtuosität aus. Dass unser Dichter auch ein ausgezeichneter Musiker und ausgewiesener Kenner der antiken Musik ist soll nicht unerwähnt bleiben. All seine besonderen Fähigkeiten tragen dazu bei, dass er auf ein imposantes Lebenswerk zurückblicken kann.

Rezension: Dietmar Schmitz

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Markus Janka: Vergils Aeneis. Dichter – Werk – Wirkung. München: Beck 2021 (Beck Wissen) 128 S. mit zwei Schaubildern, 9,95 €.

Wie soll man Vergil lehren? Wie findet man zwei Jahrtausende, nachdem er von Q. Caecilius Epirota erstmals auf einen Lehrplan gesetzt wurde, einen adäquaten Zugang, der den Autor und seinen Text ernst nimmt und verständlich macht. Markus Jankas Beitrag zur Aeneis (und eigentlich zum ganzen Vergil) in der Reihe Beck Wissen (die die Autoren in ein strenges Seitenkorsett einpasst) findet darauf mitunter überraschende und zum weiteren Nachdenken im besten Wortsinne provozierende Antworten.

Diese Feststellung gilt vor allem für die ersten Kapitel. Janka setzt nicht – wie die bekannten Einführungen zu Vergil von Giebel bis Holzberg – biographisch ein, sondern mit einer detaillierten, dem Gehalt der einzelnen Wörter nachgehenden Interpretation des Proömiums (Aen. 1,1-11), wodurch Vergil als Erneuerer Homers (nicht sein Nachahmer!) deutlich wird: Vergil ist ein Hyperhomer, das lateinische Epos findet auf diese Weise  einen neuen Zugang zu alten Themen. Das wird im folgenden Kapitel noch ausgebaut, wenn die Aeneis mit den Kategorien der hellenistischen Epik, namentlich der Argonautika des Apollonios Rhodios, begriffen wird und vor allem als Vorwegnahme des carmen perpetuum et deductum (Ovids Selbstcharakterisierung im Metamorphosen-Promömium) erscheint: Die Aeneis ist ein radikal innovatives Werk – und so füge ich hinzu: Es war gerade Vergils Erfolg und seine Kanonisierung in Schule, Bildung und Kultur, der diese radikale Innovation rezeptionsgeschichtlich aus dem Bewusstsein rücken ließ. Es lohnt sich aber nicht nur für die schulische Beschäftigung, diese Dimension wiederzuentdecken.

Zwei weitere grundsätzliche Kapitel schließen sich an: In „Ille ego qui …“ spürt Janka ausgehend vom sog. Vorproömium der Aeneis dem Zusammenhalt von Vergils kanonischen Dichtungen nach und schafft so eine thematisch fokussierte Synopse von Eklogen, Georgica und Aeneis. In „Hic vir … Augustus Caesar“ liest Janka die Aeneis als ein zwar den Prinzipat des Augustus bejahendes, aber nicht panegyrisches Epos, dessen Protagonist Aeneas nicht einfach eine auf Identität abzielende Rückprojektion des historischen Augustus ist.

Der längere zweite Teil des libellus geht die einzelnen Aeneisbücher in einem close reading durch. Die einzelnen Bücher werden durch die jeweilige Zentralgestalt schon in den Überschriften charakterisiert, von Aeneas über Achaemenides und Dido bis hin zu Pallas, Camilla und Turnus: Der Tod des Turnus wird in all seiner Verstörung deutlich gemacht, eine versöhnliche Auflösung erfolgt weder bei Vergil noch bei seinem Interpreten.

Über die Rezeption Vergils von dessen Lebzeiten bis ins 21. Jahrhundert sind ganz Bibliotheken geschrieben und wären noch viele Supplemente zu schreiben. Janka beschränkt sich auf den zur Verfügung stehenden weniger als zwei Seiten darauf, einige Spuren in das späte 20. und frühe 21. Jahrhundert zu legen – eine Erinnerung für den Leser, dass mit dem Ende der Aeneis und Vergils Tod eben bei weitem nicht alles zu Ende ist.

Der durch die Reihe „Beck Wissen“ vorgegebene Umfang erlaubt keine ausführliche Bibliographie. Sie ist auf wenige, essentielle Titel beschränkt, weiteres ist dann ins Internet ausgelagert und kann dort auch prinzipiell immer wieder erweitert werden (https://www.chbeck.de/media/4300/inh_bw2884jankavergilsaeneis_978-3-406-72688-0_1a_literaturhinweise.pdf) – ich vermisse dort eigentlich nur die (in der Forschung notorisch unterbewertete) monumentale Enciclopedia Virgiliana (1984-1990) sowie von Richard Thomas und Jan Ziolkowski ihre fast ebenso monumentale Zusammenstellung „The Virgilian Tradition. The first fifteen hundred years“ (2008). Und vielleicht lässt sich als weiteres Download-Angebot auch noch ein Glossar realisieren, das vor allem der Verwendung durch Schüler in der gymnasialen Oberstufe zugute kommen könnte. Wie sehr der Raum ausgenützt wird, zeigt sich daran, dass sogar die Umschlaginnenseiten verwendet werden, um mit zwei Schemata (zum Aufbau der Aeneis und zur tragischen Struktur der Dido-Erzählung) auch optisch aufbereitetes Material zu präsentieren.

Bleibt mir nur als Fazit: Ich bin beeindruckt, wie der Verfasser ein so in jeder Hinsicht umfangreiches Werk konzentriert in den Griff bekommen hat, es instruktiv aufbereitet und auch dem, der schon oft sich am Vergil versucht hat, neue Anregungen bietet. Und das für weniger als 10 Euro!

Ulrich Schmitzer (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)