Der Landesverband Hessen lädt für Samstag, den 02.11.2024, zum Altphilologentag in Marburg ein. Das Programm und die genaueren Informationen finden sich demnächst auf der Homepage: www.alte-sprachen.de
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Rez. zu: K. – W. Weeber, Latein und Griechisch für jeden Tag. 365 Aha-Erlebnisse. Reclam Verlag: Ditzingen 2024. EUR 10,- (ISBN 978-3-15-014606-4).
Jeder kennt einen Abreißkalender; er gibt auf jedem Blatt das jeweilige Datum an, oft befinden sich mehr oder weniger interessante Informationen zu verschiedenen Themen wie Gedenktage, Namenstage oder auch Tipps zum Kochen und Sprüche usw. Der bekannte Altertumswissenschaftler Karl-Wilhelm Weeber (W.) hat ein Buch herausgegeben, in dem die Leserinnen und Leser aufschlussreiche Details nicht nur zur antiken Kultur, sondern auch fundierte Erklärungen zu aktuellen Begriffen und Themen finden, und zwar für jeden Tag des Jahres. Er geht dabei nicht von studierten Altphilologen als Leserkreis aus, sondern erläutert in gut verständlicher Sprache die Herkunft heutiger Wörter, die im Alltagsleben eine große Rolle spielen, deren Etymologie aber den meisten verborgen ist. Auf der Titelseite verspricht der Autor 365 Aha-Erlebnisse (laut Vorwort (S. 6) hat W. 366 Vorschläge unterbreitet, da er für den 29. Februar auch einige Gedanken formuliert hat). Das Opus wurde im Jahr 2024 publiziert, das bekanntlich einen Schalttag aufweist. Es ist natürlich möglich, chronologisch vorzugehen und an jedem Tag die Überlegungen, die W. dazu präsentiert und in der Regel auf eine Druckseite komprimiert, zu lesen. Man kann aber auch an einem beliebigen Tag beginnen, und wenn man daran Gefallen gefunden hat, die Erklärungen zu mehreren Tagen lesen. Weil das genannte Jahr ein Schaltjahr war, möchte ich mit den Ausführungen des Autors zum 29. Februar beginnen.
Der Begriff „Interkalation“, Titel des Beitrags zum besagten Tag, dürfte den meisten Leserinnen und Lesern nicht geläufig sein, das Faktum, um das es hier geht, sehr wohl. W. beginnt seine Ausführungen mit einem Zitat des römischen Biographen Sueton: Annumque ad cursum solis accomodavit, ut…unus dies quarto quoque anno intercalaretur/Übersetzung: „Und er (Rez.: damit ist Caesar gemeint) passte das Jahr dem Lauf der Sonne an, so dass…nur ein einziger Tag alle vier Jahre eingeschoben werden musste“ (Sueton, Caesar 40,1). W. weist daraufhin, dass in der Zeit vor Caesar der römische Kalender immer wieder verändert werden und Schalttage, ja sogar Schaltmonate „interkaliert“ werden mussten (77). Wenn W. einen lateinischen (oder auch griechischen) Begriff verwendet, übersetzt er diesen bzw. erläutert ihn umgehend. In diesem Fall informiert er darüber, dass es Aufgabe der Priester war, einen „Zwischenruf“ zu tätigen, wenn ein Schalttag bevorstand, „so die Grundbedeutung von inter-calare“. Gewissermaßen en passant erfahren die Leserinnen und Leser, dass zwar durch die Einführung des Julianischen Kalenders die zuvor vorhandene Verwirrung (confusio) beseitigt wurde, dass aber Papst Gregor durch seine Kalenderreform 1582 eine noch größere Genauigkeit erzielte, „indem er in sog. Säkularjahren (volle Hunderte) bis auf die durch 400 teilbaren auf die Interkalation des 29. Februars verzichtet“ (77). Abschließend erklärt W. auch die Bedeutung des Begriffs Interkalation (I.) im Bereich der Chemie, wobei er ausdrücklich darauf verweist, dass die chemische I. reversibel ist – im Unterschied zur kalendarischen; so gelingt es ihm, ein weiteres lateinisches Wort (in diesem Fall: reverti, „zurückkehren“) sowie die Bedeutung des Suffix -bel (lat. -bilis) den Leserinnen und Lesern näherzubringen. W. überfrachtet die einzelnen Lemmata mit solchen Hinweisen nicht, man erfährt aber auf diese Weise zahlreiche interessante Details nicht nur zur antiken Kultur, Geschichte und Politik, sondern auch zur aktuellen Gegenwart. Ein Blick in das Register (433-439) zeigt das große Spektrum der Begriffe (von A (internationale Autokennzeichen), über Basics, CEO, GPS, Kryptobörse, MRT, Performance, Recycling, Subsidiaritätsprinzip bis Zynismus), die W. erläutert und auf ihre sprachliche Herkunft und Bedeutung hin analysiert. Im Buch werden zahlreiche Kontexte einbezogen (antikes Kulturwissen, Architektur, Medizin, Musik, Naturwissenschaften, Politik, Sport, Technik, um nur einige Beispiele zu nennen). W. stellt aber nicht nur Besonderheiten der griechischen und lateinischen Sprache vor, sondern befasst sich auch mit der deutschen Sprache, mit der bekanntlich zuweilen auch Muttersprachler ihre Probleme haben. Hier wird deutlich, dass W. nicht nur Altertumswissenschaftler ist, der auf eine große Zahl von Veröffentlichungen zur antiken Kulturgeschichte schauen kann, sondern auch Gymnasiallehrer war, der jungen Menschen die korrekte Anwendung der deutschen Sprache beigebracht hat, vor allem im Fach Latein. In diesem Zusammenhang möchte ich einige Beispiele anführen, die auf sprachliche Probleme des Deutschen hinweisen. In der Rubrik „Extremist“ (40/41) informiert W. über das lateinische Etymon (extremus) und warnt davor, einen falschen Superlativ zu verwenden („Extremst“); diesen Begriff müsste man nämlich ins Deutsche folgendermaßen übertragen: „äußersterst“, eine Wortbildung, die verständlicherweise nicht erlaubt ist. Ein ähnlicher Fall liegt beim Wort: optimal vor (optimus), zu dem weder ein Komparativ (optimaler) noch ein Superlativ (optimalst) (41) gebildet werden kann. Wer als Schülerin/Schüler die Steigerungsformen von bonus, bona, bonum korrekt gelernt hat, wird die falschen Wortbildungen mit großer Wahrscheinlichkeit vermeiden. Zuweilen verwenden Sprecher ein falsches Genus bzw. einen falschen Artikel, selbst wenn die Etymologie des Wortes eindeutig ist; dies ist etwa der Fall beim >Zölibat<, im Deutschen eindeutig ein maskulines Lexem (lat. coelibatus). W. teilt dazu mit: „Das Fremdwort >Zölibat< ist relativ nahe am >Original<. Es ist und bleibt trotz häufiger >Neutralisierung< ein Maskulinum: der Zölibat“ (91). Ein Sonderfall liegt beim Begriff: Körper vor; er geht auf das lateinische Wort corpus zurück, das eindeutig ein Neutrum ist. Beim Übergang ins Deutsche hat es „eine Geschlechtsumwandlung zum Maskulinum“ (219) erfahren. „Anders dagegen, wenn man >Corpus< oder >Korpus< als Fremdwort – z. B. bei Möbeln – verwendet. Da sollte es weiterhin >das< heißen“ (219). Wieder anders gelagert ist der Fall beim Wort Agenda, eigentlich: Dinge, die zu tun sind (233). Grammatisch handelt es sich um eine Form, die im Plural Neutrum steht. Das End-a bei Neutrumwörtern wurde schon im Mittelalter oft als Feminin begriffen, und so ist auch die Mutation zu einem femininen Wort im Deutschen zu verstehen. Bezüglich der Betonung lassen sich im Deutschen ebenfalls zahlreiche Fehler entdecken; Unkenntnis beweist, wer das Fremdwort Konsens (von lat. consentire) auf der ersten Silbe betont: Kónsens (42/43).
Ein wichtiger Bereich sind die Fremdwörter im Deutschen, die häufig mit Elementen der griechischen und lateinischen Sprache gebildet werden. Immer wieder liefert W. in diesem Kontext Beispiele für produktive Wortbildungen, vor allem bei Neologismen. Auffallend häufig greift die deutsche Sprache dabei auf Prä-, In- oder Suffixe mit griechischen und lateinischen Elementen zurück. Beliebt sind etwa Wortschöpfungen auf -tor, wobei eine handelnde Person (nomen agentis) charakterisiert wird (Administrator, Konditor, Direktor usw.), auch Bildungen mit den Suffixen -phil und -phob lassen sich beobachten (hydrophil/Wasser anziehend; hydrophob/Wasser abstoßend) (342). Zahlreich sind auch Präfixbildungen mit -a oder -an, wenn das folgende Wort mit Vokal beginnt; Beispiele: Atheist, atypisch, asynchron, aber: Anarchie. W. liefert eine Reihe von weiteren Präfixbildungen. Man mag diese Thematik möglicherweise als etwas abgehoben einschätzen, aber wenn man bedenkt, dass Medizinstudentinnen/-studenten bis zu 10000 Fachbegriffe lernen müssen, ist es ratsam, über eine Liste mit Wortbildungsmustern zu verfügen, um alle diese Wörter zu lernen und später auch stets abrufen zu können. W. macht auf einige merkwürdig anmutende Wortbildungen aufmerksam, zum Beispiel bei den Wörtern Augenoptiker und Hörakustiker („optikós bedeutet „das Sehen betreffend““ (50); sehen kann man nur mit den Augen); hier liegt also eine Tautologie vor, ebenso wie bei dem anderen genannten Wort („akoustikós „das Gehör betreffend“ (50); hören kann man eben nur mit den Ohren). Die Beispiele lassen sich beliebig erweitern.
Die Aussprache bestimmter Konsonanten war im Lateinischen nicht immer kontinuierlich; so erinnert W. daran, dass der lateinische Buchstabe -c- ursprünglich wie -k- ausgesprochen wurde, seit dem 4. Jahrhundert sprach man das -c- allerdings wie -z- aus. Die deutsche Sprache hat zum Beispiel aus cella zwei Lehnwörter entwickelt: die Zelle und der Keller (49).
Die einzelnen Lemmata, die W. zu den Tagen im Jahr vorstellt, sind nicht stupide nach einem bestimmten Schema ausgewählt, sondern variieren; manchmal wird ein Gedenktag als Aufhänger verwendet (zum Beispiel Weltkrebstag: Art. Tumorzelle (48/49, 4. Februar), Welttag für menschenwürdige Arbeit: Art. Prekariat (332/333, 7. Oktober), National Sock Day: Art. Socke (396/397, 1. bzw. 4. Dezember), manchmal eine Abkürzung (CEO, 119/120, 6. April; GPS, 237/238, 17. Juli; SUV, 280/281, 23. August), manchmal auch ein aktueller Begriff (App Store, 230, 10. Juli; Cyberspace, 305/306, 14. September; postfaktisch, 30/31, 20. Januar).
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass W. ein kurzweiliges und lesenswertes Opus verfasst hat; er bietet gut verständliche etymologische Erläuterungen, erklärt die verwendeten Fremdwörter und Lehnwörter, präsentiert nützliche Wortbildungsmuster und gibt Hinweise dafür, dass es sich lohnt, die Alten Sprachen zu erlernen, und dass insbesondere Latein als Multifunktionsfach in der Schule fungieren kann.
Rezensent: Dietmar Schmitz
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