Elodie Harper, Die Wölfe von Pompeji. Roman. Übersetzt aus dem Englischen von Martina Schwarz, München (Piper) 2023, ISBN 978-3-492-50662-5, 459 Seiten, € 20,00 (Englische Originalausgabe: The Wolf Den, London 2021)

Mit Pompeji assoziieren die meisten Menschen sicherlich den Vesuvausbruch im Jahr 79. Altertumswissenschaftlich Interessierten kommt daneben schnell die Graffitisammlung, wichtige Zeugnisse des damaligen Alltags, in den Sinn. Übersetzungen solcher Graffiti sind auch einzelnen der 44 Kapitel aus Elodie Harpers Roman „Die Wölfe von Pompeji“ vorangestellt. Harper studierte in Oxford englische Literatur und lateinische Poesie. Sie arbeitet als Journalistin, Autorin und derzeit als Reporterin bei ITV News Anglia. „The Wolf Den” gewann den Glass Bell Award 2022 und war im gleichen Jahr auf der Shortlist des British Book Awards.

Die Handlung setzt im Februar 74 in Pompeji ein. Die Protagonistin Amara ist eine Prostituierte des Bordells Wolfshöhle (lupa, -ae  – Wölfin, Prostituierte). Gemeinsam mit fünf weiteren Frauen erlebt sie den schroffen Alltag von ärmlichen Sklav:innen in der kampanischen Stadt. Jedoch sucht Amara, bei der es sich um die aus Griechenland stammende Tochter eines Arztes handelt, scharfsinnig nach Möglichkeiten, ihre Freiheit zurückzuerlangen. Einen Wendepunkt bilden die Vinalia, im Zuge derer sich Amara als singende Leierspielerin präsentiert. Daraufhin wird sie auch für entsprechende Auftritte in den Häusern angesehener Bürger gebucht – ein Höhepunkt ist der Aufenthalt in der Villa des älteren Plinius. Im folgenden rasanten Wechsel zwischen dem Leben als Konkubine eines reichen Römers und dem Dasein als Gefährtin jedes Zahlungsfähigen gelingt der Protagonistin zuletzt der eigene Freikauf in einem emotional geladenen Finale, das sowohl von Gewinn als auch von Verlust geprägt ist.

Harper beschönigt die Lebenssituation der Prostituierten nicht, deren elender Alltag zwischen Machtspielen und Intrigen vom permanentem Zwang, Geld einzunehmen, bestimmt ist. Ständiger Mangel an fast allem und fehlende Selbstbestimmung prägen den Alltag der Wölfinnen Pompejis. Eindrucksvoll schildert die Autorin das Zusammenleben der Zwangsprostituierten. Amaras beständige Angst um ihre Gefährtinnen und sich selbst trägt ebenso wie die überwiegend gelungene Darstellung ihres Wunsches nach Freiheit zu der authentischen Atmosphäre des Romans bei. Obwohl sie der Besitz ihres Zuhälters ist, versucht sie geschickt, ihre Lebensumstände zu verbessern. Die Sprache ist von derben und ordinären Ausdrücke geprägt, die Handlung des Romans wird im Präsens erzählt, wodurch das Geschehen besonders unmittelbar wirkt. Gewöhnungsbedürftig ist neben der schwankenden Tiefe verschiedener Figuren allerdings in der deutschen Fassung in sprachlicher Hinsicht die wiederholte Verwendung von Anglizismen, etwa „Bar“, „Dinnerparty“, „sexy“, und weiterem anachronistischem Vokabular.

In ihrem Werk beleuchtet die Autorin die Antike aus einer selten gewählten Perspektive: der einer Prostituierten, die sich gegen die übermächtige Männerwelt zur Wehr setzt, für die sie kaum mehr als eine Sache ist. Dadurch ist der Roman insbesondere für Fans von feministischen Antikenromanen lesenswert, die sich nicht nur für Mythen („Ich bin Circe“, „Ich, Ariadne“, „Stone Blind – Der Blick der Medusa“), sondern auch für Alltagsschilderungen interessieren. „Die Wölfe von Pompeji“ ist der erste Band einer mehrteiligen Reihe – der zweite Teil „Das Haus mit der goldenen Tür“ erscheint im November 2023 ebenfalls im Piper-Verlag.

Philipp Buckl, Bergische Universität Wuppertal