Deutscher Altphilologenverband

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Deutscher Altphilologenverband

Organisation des Humanismus-Preisträgers 2016 hilft in der Ukraine

Wie viele andere Organisationen, versucht auch die vom Humanismus-Preisträger 2016, Andrea Riccardi, gegründete Gemeinschaft Sant’Egidio die Not den Menschen in der Ukraine zu lindern (Nähere Informationen finden Sie hier).

Interdisziplinäre Tagung: "Quellen des Sinns – Fragen von Religiosität, Spiritualität und Ethik in Bildung und Unterricht"

Die Special Interest Group "Kritisches Denken und darüber hinaus –  Normative Fragen in der Lehrer:innenbildung" der Tübingen School of  Education wird am 5. und 6.10.22 eine interdisziplinäre Tagung zum Thema "Quellen des Sinns – Fragen von Religiosität, Spiritualität und Ethik in Bildung und Unterricht" veranstalten und bittet mit folgendem Call um Einsendung von Vortragsvorschlägen auch zum Bereich religiöser (oder auch atheistischer) Vorstellungen und Praktiken in der Antike und deren gewinnbringende Rolle in Unterricht und Schule von heute.

» Download Call for Paper (PDF)

Ringvorlesung: "Religion und Literalität in der Antike"

An der Universität Potsdam findet im Wintersemester 2021/22 eine Ringvorlesung zum Thema „Religion und Literalität in der Antike“ statt.

Termine: 

Dienstags, 18 Uhr c. t. | Am Neuen Palais, Universität Potsdam

Haus 9, Raum 2.03 und online

» Programm zum Download

Internationale Online-Konferenz zum Latein- und Griechischunterricht in Pandemiezeiten an der Universität Tübingen

Die Corona-Krise hat auch die Lehre in den Klassischen Altertumswissenschaften zu einem schnellen und grundsätzlichen Umdenken gezwungen. Die Tatsache, dass diesen digitalen Lösungen, die man aus hygienischen Gründen finden musste, seit Beginn der Krise im Frühjahr 2020 der Makel anhaftet, lediglich Hilfskonstruktion zu sein, sollte aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass viele der Innovationen einerseits teilweise schon auf Vorarbeiten zurückgreifen konnten und andererseits durchaus Chancen eröffnen, die auch nach Corona ihren Wert behalten dürften. An ausgewählten Beispielen soll diese Konferenz aufzeigen, wie die Klassischen Altertumswissenschaften auf die Lage universitärer Lehre reagierten, wie sie sich sehr plötzlich verändert hatte.

Interessierte sind herzlich willkommen, Informationen auf dem Flyer (PDF zum Download).

"Reden wir über Latein..."

Latein – aktuell auch im 21. Jahrhundert: Reden wir doch einmal mit denen, die Latein selbst lernen, mit denen, die Latein an junge Menschen weitergeben, mit dem Kabarettisten und Moderator Christoph Süß, der kein Latein hatte, und mit Prof. Harald Lesch, einem bekannten Naturwissenschaftler, der nachdrücklich für Latein eintritt.

Neue Vorsitzende des Deutschen Altphilologenverbandes – „Nähe in der Distanz: Latein und Griechisch 2.0“

Auf einem virtuellen Vertretertag hat der Deutsche Altphilologenverband am vergangenen Wochenende turnusgemäß einen neuen Bundesvorstand gewählt. Geleitet wird die Vereinigung der Lehrenden der klassischen Sprachen Latein und Griechisch an Universität und Schule nun von Prof. Dr. Stefan Freund, Wuppertal. Ziel des neuen Vorstands ist es, den Bildungswert dieser Sprachen auch für eine digitalisierte Welt lebendig zu halten.

Nach über 15 Jahren als stellvertretender Vorsitzender und als Vorsitzender schied Hartmut Loos, Schulleiter des Gymnasiums am Kaiserdom in Speyer, aus dem Vorstand aus. In Anerkennung seiner herausragenden Verdienste um den Verband wurde er zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Neben ihm beendeten Dr. Anne Friedrich, Halle, und Prof. Dr. Ulrich Schmitzer, Berlin, ihre Tätigkeit.

Neue stellvertretende Vorsitzende sind Dr. Katja Sommer, Lehrerin in Hannover und Vorsitzende des Landesverbandes Niedersachsen, und Dr. Stefan Faller, der an der Universität Freiburg tätig ist und den Landesverband Baden-Württemberg leitet. Zum Bundesvorsitzenden wurde Prof. Dr. Stefan Freund gewählt, der an der Bergischen Universität Wuppertal Latinistik lehrt. Erneut hat der Deutsche Altphilologenverband, in dem etwa 6 000 Vertreter und Vertreterinnen der klassischen Sprachen Latein und Griechisch organisiert sind, Persönlichkeiten an seine Spitze gewählt, die den Anspruch der Organisation, universitäre Forschung und Lehre sowie schulischen Unterricht eng zu verzahnen, idealtypisch verkörpern.

„Unser Ziel ist es, den bleibenden Bildungswert des Lateinischen und Griechischen lebendig und nutzbringend zu erhalten in einer digitalen Welt und für eine Gesellschaft, die sich mit großen sozialen und ökologischen Herausforderungen konfrontiert sieht,“ formuliert Prof. Freund das Programm für die nächsten zwei Jahre. Dabei kann er darauf verweisen, dass der bei der Gründung vor fast 100 Jahren satzungsgemäß festgelegte Verbandszweck „die Bildungskräfte der Antike im geistigen Leben der Gegenwart, namentlich der Jugendbildung, zur Wirkung zu bringen“ auch angesichts der Herausforderungen unserer Zeit aktuell ist.

Einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung dieses Ziels verspricht sich die Verbandsleitung vom Bundeskongress 2022, der auf Einladung des dortigen Latinisten Prof. Dr. Thomas Baier an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg vom 11.04. bis 14.04.22 stattfinden und unter dem Motto „Nähe in der Distanz: Latein und Griechisch 2.0“ stehen wird.                     

Wolfram Schröttel
(Pressesprecher des DAV)

bundeskongress 2022 teaser 1

Schülerwettbewerbe: Jubiläum an Ciceros Geburtsort

40 Jahre Begeisterung auf Großveranstaltung für die Abiturstufe in Italien

Der renommierte alljährlich im Mai in Arpino stattfindende Übersetzungswettbewerb für Schülerinnen und Schüler aus den unterschiedlichsten Ländern geht in die 40. Runde. Seit 1981 kreisen die Dinge dort nicht nur um die Übersetzung eines lateinischen Textes aus der Feder Ciceros einschließlich Kontextwissen, sondern auch um Begegnung, Kultur und Atmosphäre.

Arpino/Berlin/Speyer (DAV): In den Hochzeiten guten Sponsorings und ungetrübter Teilnahmebedingungen trafen in der kleinen Landstadt Arpino, dem antiken Arpinum und Herkunftsort des Anwalts, Politikers und Schriftstellers Marcus Tullius Cicero, jedes Frühjahr ungefähr 500 Schülerinnen und Schüler in Begleitung von über 250 Lehrkräften ein, um dreieinhalb erlebnisreiche Tage zu verbringen. Nach dem Ankunftstag folgte das Kernstück am Morgen des zweiten Tages: Eine Übersetzung nebst eigenem gut sortiertem Kommentar.

Daraufhin durften alle Gäste sowohl das Städtchen Arpino und die vielen anderen Gleichgesinnten als auch am dritten Tag die mittelitalische Umgebung mit ihren besten Sehenswürdigkeiten kennenlernen und wurden in einer besonderen Veranstaltung vom Kloster Montecassino empfangen. Bei der Preisverleihung am Abfahrtstag wurde die Spannung regelmäßig recht hoch. Auch Deutsche waren in gewissen Abständen immer wieder auf den vorderen Plätzen zu finden. Doch selbst ohne Preis war der Erlebniswert stets so hoch, dass einige sich nach diesem Eindruck endgültig zum Lateinstudium entschieden.

In diesem Jubiläumsjahr findet der Wettbewerb dezentral und online an zwei Terminen im Mai statt: Zuerst als Übersetzung mit sofortiger digitaler Einsendung, später für die fünfzig Besten in Gestalt einer Prüfung zum geschichtlichen und kulturellen Hintergrund. Den Siegerinnen und Siegern winken wieder zehn offizielle und vier inoffizielle Geldpreise, der erste in Höhe von € 1000,00.

https://www.certamenciceronianum.it/it/

                               

Karl Boyé

(Pressesprecher des DAV)

Gräzistik auf neuen Wegen: Neuer B.A.-Studiengang in Marburg vereint Gräzistik mit Semitistik/Arabistik und Philosophie oder Amerikanistik und VWL

Seit dem letzten Wintersemester gibt es an der Philipps-Universität Marburg den neuen B.A.-Studiengang "Interdisziplinäre Literatur- und Kulturstudien". In dem 8-semestrigen B.A. werden drei Fächer (ein Hauptfach und zwei Nebenfächer) studiert. Dabei sind auch verschiedene innovative Kombinationen mit Griechisch möglich, zum einen die Kombination 'Orient-Antike-Studien', in der man Gräzistik, Semitistik/Arabistik und Philosophie verbindet, zum anderen der Schwerpunkt 'Amerika-Antike-Studien', in der die Gräzistik mit Amerikanistik und Volkswirtschaftslehre verbunden ist.

Die 'Orient-Antike-Studien' schlagen die Brücke zwischen der griechischen Welt der Antike und ihrem Einfluss auf das europäische Denken einerseits und ihrem Fortleben im Gebiet des Nahen Ostens andererseits. In den  'Amerika-Antike-Studien' verfolgen Studierende die Entwicklung ökonomischen Denkens von der Antike bis heute im europäischen und U.S.-amerikanischen Kulturraum.

Da der B.A.-Studiengang über 8 statt der üblichen 6 Semester läuft, bietet er auf der einen Seite genug Raum für die fachlichen Kompetenzen samt Spracherwerb, ohne auf  Module zu berufspraktischen Aspekten und Schlüsselkompetenzen etwa im Bereich der Digital Humanities verzichten zu müssen. Ein wesentliches Merkmal ist die Interdisziplinarität: Während in anderen B.A.-Studiengängen die Fächer eher separat studiert werden, wird hier in interdisziplinären Kolloquien der fachliche Austausch gezielt gesucht und gefördert. Dem kommt in besonderer Weise die Tatsache zugute, dass die  Studiengangsverantwortlichen auch außerhalb des Unterrichts in Forschungsprojekten zusammenarbeiten.

Wir denken, dass der Studiengang der Beschäftigung mit der griechischen Literatur und Philosophie neue Impulse geben kann. Er spricht junge Leute an, die sich für die antiken Texte und Ideen begeistern, aber kein rein philologisches Studium anstreben und sich auch eine weitere berufliche Perspektive eröffnen wollen. Wir würden uns freuen, wenn Sie mögliche Interessentinnen und Interessenten auf diesen neuen B.A.-Studiengang aufmerksam machen würden.

Nähere Informationen zum Studiengang finden Sie über die folgenden Links:

Informationen zur Gräzistik im B.A. Interdisziplinäre Literatur- und Kulturstudien (PDF)

https://www.uni-marburg.de/de/fb10/studium/studiengaenge/ba-ilk

Zum Download: Griechisch-Broschüre "Heureka"

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Durch die Coronakrise erreichen viele Griechischlehrer/innen die Schüler/innen zur Information über Griechisch nicht persönlich. Als Ersatz ist die Informationsbroschüre für Griechisch „Heureka“ ab sofort als Download verfügbar:

» Broschüre "Heureka" (PDF)

heureka teaser

Weiterhin gutes Gelingen, und: Bleiben Sie gesund! 

Für den DAV-Vorstand und die Beitragenden des Newsletters
Hartmut Loos, Prof. Dr. Ulrich Schmitzer sowie Dr. Anne Friedrich

  1. Zum Download: Griechisch-Broschüre "Heureka"
  2. Klaus Bartels verstorben
  3. Leichter Anstieg im Fach Griechisch
  4. „Discovering Greek & Roman Cities“: Massive Open Online Course

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Neuerscheinung des Monats

Maier, F., Das Gymnasium. »Eine Werkstatt der Menschlichkeit«? Zur Karriere einer Bildungsidee. Idea: Palsweis 2025. 169 S. 22,- EUR (ISBN: 978-3-988860-029-3).

Friedrich Maier, Autor zahlreicher Monografien, Aufsätze, Schullektüren und einer der anerkanntesten Fachdidaktiker im deutschsprachigen Raum, hat ein Werk vorgelegt, in dem seine Wertschätzung für die Schulform Gymnasium zum Ausdruck gebracht werden soll. Weitere Angaben zu Friedrich Maier kann ich mir schenken, denn dies bedeutete Eulen nach Athen tragen; dieser Spruch geht übrigens auf Aristophanes zurück, der in seiner Komödie Die Vögel (V. 301) um 400 v. Chr. folgende Frage gestellt hat: Τίς γλαῦκ‘ Ἀθήναζ‘ ἤγαγεν;/Wer hat eine Eule nach Athen gebracht?

Entsprechend dem klassischen Prinzip der Dreiteilung gibt es im zu besprechenden Band drei Rubriken, die chronologisch angeordnet sind: der erste Teil enthält die Analyse der Vergangenheit (13-48), der zweite die Diagnose der Gegenwart (49-99) und der dritte die Perspektiven der Zukunft (101-150). An die Schlussgedanken (151-153) schließen sich das Literaturverzeichnis (155-159), Angaben Zum Autor (161-162) und ein Anhang: Sokrates im Gespräch mit einem Roboter (163-169).

Bereits im Vorwort (9-12) betont Friedrich Maier, dass das Gymnasium eine „unendlich lange Tradition“ und „seine Wurzeln im antiken Griechenland geschlagen habe“ (9). Recht hat er natürlich mit dem Hinweis auf das Faktum, dass mit dem Erwerb des Abiturs der Zugang zu den Universitäten und Hochschulen verbunden ist (9). Wichtig ist ihm der Einfluss des tschechischen Pädagogen Amos Comenius, für den „die Bildungsanstalt »Schule« eine »Formungsstätte« der Menschen sei, sie sei »eine Werkstatt der Menschlichkeit, insofern sie den Menschen zum wahren Menschen macht«“ (9). Im Verlaufe seiner Darlegungen wird Maier immer wieder auf Gedanken des wohl bedeutendsten Pädagogen aus Tschechien zu sprechen kommen. Maier konstatiert mit voller Berechtigung das Fehlen einer Gesamtdarstellung der Schulart Gymnasium. Es gibt zwar Einzelstudien zu Phasen des Gymnasiums, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, aber eben keine Gesamtdarstellung. Diese Lücke möchte er mit dem vorliegenden Band schließen. Seine Studie umgreift zweieinhalb Jahrtausende der Geschichte des Gymnasiums und „kann als Zeichen der Wertschätzung des Autors dem Gymnasium gegenüber und als Angebot zur Selbstvergewisserung seiner Vertreter verstanden werden“ (10).

Bei den folgenden Beobachtungen konzentriere ich mich auf einige mir besonders wichtige Aspekte in der Geschichte des Gymnasiums. Der Ursprung dieser Schulart ist das »gymnasion« (gr.: γυμνάσιον) „als soziale Einrichtung einer Polis“, und zwar seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. (15). Einige Bevölkerungsteile waren gänzlich ausgeschlossen, wie Frauen und Sklaven, aber auch die niederen Schichten des Volkes. Zunächst war ein »gymnasion« eine Sport- oder Turnhalle, wo sich junge Adlige körperlich fit hielten bzw. trainierten, in der Regel nackt (gymnos, gr. γυμνός). Später wurde auch eine geistige Bildung vermittelt (16). Nachdem sie von Pädagogen (»Knabenführern«) in den Grundfertigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens eingeführt worden waren, stand im Gymnasium die höhere Bildung im Vordergrund (16). Maier geht auf die Bedeutung des griechischen Philosophen Sokrates ein, der sich auf der Agora/Marktplatz mit jungen Menschen über existentielle Fragen des Lebens unterhielt und damit ein Gegenpol zu den Sophisten darstellte, denen es vor allem wichtig war, „die Technik des Redens und des politischen Durchsetzungsvermögens“ zu vermitteln (16/17). Wie eine solche Begegnung des Sokrates mit den jungen Menschen ablaufen konnte zeigt ein Zitat aus den Memorabilien des Xenophon (I 1, 10-19 m. A.), eines Schülers des Sokrates (17). Maier greift hier – wie auch später – auf entscheidende Quellen zurück, um seine Thesen zu untermauern. Man kann nicht behaupten, dass Sokrates die Bemühungen der Naturforscher, Entdeckungen zu machen, gänzlich ablehnte, ebenso wenig „wie die Vermittlung von bloßem Fachwissen durch die Sophisten, er will nur dem Menschen als einmaligem Erziehungsobjekt stets gegenüber allen anderen Forschungs- und Bildungszielen den Vorrang einräumen“ (20). Letztendlich geht es um den griechischen Begriff arete (gr. ἀρετή), der ein umfassender Begriff für den moralischen Wert, die Tugend und Werte wie „Anständigkeit, Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Besonnenheit, Weisheit, Tapferkeit, Herrschaftsfähigkeit“ darstellt (20). Nach Meinung von Maier ist eine derartige „wertebasierte Erziehung“ (20) nur auf der Basis von »Wissen« möglich, „das man sich durch Lernen aneignet“ (21). Schließlich lässt sich nach Maier konstatieren, dass „Menschlichkeit und Bildung die zwei Seiten einer Medaille sind“ (21).

Eine wichtige und nachhaltige Lehre haben die Vertreter der Stoa vermittelt, auf die letztendlich die Idee von der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit basiert (23). Die Stoiker sprachen von der Würde eines jeden Menschen. Mit diesen neuen Prinzipien wurden die Adligen in den Gymnasien vertraut gemacht. Insbesondere Cicero spielte bei der Etablierung einer menschengemäßen Bildung in Rom eine entscheidende Rolle, wobei der Begriff der humanitas all diese Ideen beinhaltete (23).

Die Christen griffen in der Frühzeit ihrer Glaubensgeschichte das griechische Bildungsideal, das in Rom von Cicero und Seneca verbreitet wurde, auf und komplettierten das Konstrukt der klassischen Tugenden: Gerechtigkeit, Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit durch die drei christlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe, „die als die »Kardinaltugenden« seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. als Wertekanon der abendländisch-christlichen Lebens- und Weltgestaltung fungierten“ (28). Den Klöstern bzw. den Klosterschulen kam die Aufgabe zu, diese Bildungsgüter der Antike aufzugreifen und ihren Schülern zu vermitteln, zunächst denen, die als Priester und Mönche fungieren sollten, später auch Laien und sogar adligen jungen Mädchen (30). In Klosterschulen wie St. Gallen oder auch Corvey standen Griechisch und Latein auf dem Lehrplan, natürlich christliche Autoren, daneben auch heidnisch antike, wobei die Fächer der sogenannten artes liberales in das Trivium (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) und in das Quadrivium (Geometrie, Arithmetik, Musik und Astronomie) eingeordnet wurden. Im Laufe der Zeit und gegen mancherlei Widerstände wurde es auch Menschen der unteren Schichten ermöglicht, solche Schule zu besuchen und sich eine höhere Bildung anzueignen, um einen beruflichen Aufstieg zu erreichen.

In der Epoche des Renaissance-Humanismus stand bald wieder das klassisch-antike Bildungsprogramm im Vordergrund, d.h. die klassischen Sprachen Griechisch und Latein nahmen auf dem Lehrplan die wichtigsten Positionen ein, befördert von bedeutenden Humanisten wie Erasmus von Rotterdam (1466-1536) und Philipp Melanchthon (1497-1560) (34). Es entstanden, oftmals hervorgegangen aus ehemaligen Klosterschulen, Eliteschulen, in denen die zukünftigen Führungskräfte ausgebildet wurden; solche achtjährigen Schulen wurden in der Regel als Gymnasien bezeichnet, die häufig die Namen bekannter Humanisten erhielten, wie etwa das wohl älteste Gymnasium in Deutschland, das Melanchthon-Gymnasium in Nürnberg (34). Diese Schule wurde 1526 gegründet und feiert 2026 seinen fünfhundertsten Geburtstag. Anfang des 17. Jahrhunderts vollzog sich ein Kulturwandel, in dessen Verlauf verschiedene Typen von Gymnasien entstanden: so etwa das „neusprachliche“ Gymnasium oder auch das „naturwissenschaftliche“ Gymnasium. Das humanistische Bildungsideal trat an diesen Schulen weitgehend in den Hintergrund, im Fokus standen einerseits die modernen Fremdsprachen oder andererseits Fächer wie Biologie, Physik und Chemie (37). Wäre nicht Amos Comenius (1592-1670) aufgetreten und hätte er nicht soviel Wirkung erzielt, hätte sich vielleicht die Bildungslandschaft in Europa zuungunsten der Alten Sprachen entwickelt. Dank ihm standen die Ideen des humanitas-Gedankens wieder im Zentrum der Bildungslandschaft. Der Berliner Didaktiker Andreas Fritsch hat in mehreren Studien die besondere Bedeutung des humanitas-Begriffs, so wie wir ihn in den Schriften des Amos Comenius vorfinden, klar herausgearbeitet (vgl. Literaturverzeichnis, 155/156). In der Perspektive Maiers greift der Reformator Comenius folgerichtig auf das sokratische Bildungsideal zurück. Für den tschechischen Pädagogen sollte das Gymnasium zu „einer Werkstatt der Menschlichkeit“ werden, in dem der Mensch wahrhaft zu einem Menschen werde (scholae sunt officinae humanitatis, efficiendo nimirum, ut homines vere homines fiant, 40). Maier ist zutiefst davon überzeugt, dass Amos Comenius auf die nachfolgenden Generationen bis heute gewirkt hat und dass seine „Idee einer auf Wissen gegründeten Menschenbildung“ nicht nur für das humanistisch geprägte Gymnasien gilt, sondern auch für „alle anderen Schulen als verbindlich angesehen werden“ sollen (41).

Nachdem Maier in einem ersten Abschnitt von Teil 1 den Ursprung des Gymnasiums untersucht (13-33) und im zweiten Abschnitt die Renaissance des klassischen Gymnasiums beleuchtet hat (34-41), analysiert er im dritten Abschnitt Die Revolution der Bildungswelt (42-48). Die Idee des Fortschritts spielte ab dem 17. Jahrhundert eine immer größer werdende Rolle. Einer religiös gefärbten Fortschrittsgläubigkeit begegnete Wilhelm von Humboldt (1767-1835) mit seinen Bildungsreformen. Darin finden sich Maier zufolge Ideen der sokratischen Lehre, ebenso der humanitas-Gedanke, wie wir ihn bei Cicero und Seneca vorfinden, genauso wie Aspekte von Erziehung, wie sie im Werk des Comenius formuliert sind. Maier sieht im Bildungsideal des Neuhumanismus einen eklatanten Gegenpol zu den von manchen Bereichen der Industrie geforderten Bedürfnissen auf den Gebieten von Technik und Wirtschaft (44-45). Sodann kommt Maier auf den Einfluss von Robotern und KI zu sprechen. Darin ist seiner Meinung nach ein »digitaler Imperialismus« zu erkennen, wobei sich der Mensch „diesen imperialen Mächten bedingungslos zu unterwerfen“ scheint (46). Man sollte allerdings die Entwicklungen, die mit KI einhergehen, nicht vornherein verteufeln, sondern vielmehr versuchen, deren Errungenschaften für den aktuellen Unterricht zu nutzen. Dies praktiziert in vorbildlicher Weise Rudolf Henneböhl, der in mehreren Publikationen darum bemüht ist, das Thema KI für Griechisch und Latein aufzugreifen und die möglichen Vorteile dieser Errungenschaft für die beiden Fächer fruchtbar zu nutzen (Henneböhl, R., KI-Bildung. Ein Leitfaden für Lehrende, Eltern und junge Erwachsene. Wie die neuen Bild- und Textwelten die Welt des Menschen verändern. Ovid Verlag: Bad Driburg 2024).

Im zweiten Teil des Buches (Diagnose der Gegenwart), Abschnitt I, erörtert Maier Aktuelle Absurditäten (51-63); dabei kritisiert er den „Handy-Wahn“ (52-54), geht auf den »Homo digitalis« ein (54-58) und stellt die Frage, ob das Buch ein Ekel sein kann (58-63). Maier moniert mit voller Berechtigung, dass die Lesekultur erheblich abgenommen hat; nach neuesten Studien (die Maier wie in manch anderen Fällen nicht genau angibt) liest der „Durchschnittsmensch nur noch 27 Minuten am Tag ein gedrucktes Wort“ (59). In Abschnitt II analysiert Maier die existentiellen Herausforderungen (64-99). Seine Befürchtung, der Mensch werde durch die KI letztendlich verdrängt und überflüssig (67), muss ernst genommen werden, und es müssen ergriffen werden, die das verhindern. Unter Rückgriff auf die beiden Antipole Prometheus und Epimetheus versucht Maier, gegensätzliche Positionen zu beleuchten. Der Erstgenannte symbolisiert „die menschliche Leistungskraft, zu allererst auf dem technisch-naturwissenschaftlichen Felde“ (69), der zweite repräsentiert die Neigung, ohne Zeitdruck zu einem nachvollziehbaren Urteil zu gelangen. Maier zitiert einen Text, der an der Decke des Sitzungssaales der Ruhr-Universität Bochum zu lesen ist: „Das Brüderpaar aus dem antiken Mythos als Symbolfigur für eine moderne Universität zu wählen, bedeutet, die alten Strebensziele für die neuen Wissenschaften zu übernehmen. Prometheus, der Vorausdenkende, steht für die entdeckenden Natur- und Ingenieurwissenschaften, Epimetheus, der Nachdenkliche, für die textauslegenden Geisteswissenschaften. Die Universität trachtet danach, das Prometheische mit dem Epimetheischen zu verbinden“ (76/77). So ist zu begreifen, dass diese Universität in ihr Siegel die beiden mythologischen Figuren Prometheus und Epimetheus aufgenommen hat. Politisch wird Maier, wenn er die beiden konträren Machtblöcke in Ost und West gegenüberstellt (Die Konfrontation zweier Machtblöcke, 86-90). Autokratie und Demokratie sind unvereinbar; wie aktuell dieses Thema ist zeigen die Ereignisse in unserer Gegenwart. Am Ende des zweiten Teils seines Buches verzichtet Maier nicht darauf, Fragen der Umweltverschmutzung und die Vergewaltigung der Erde (92) anzusprechen.

Der dritte Teil des Buches gewährt einen Blick in die Zukunft: Perspektiven der Zukunft (101-150) und ist in vier Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt geht Maier auf die Vertiefte Allgemeinbildung (103-107) ein, erinnert an entscheidende Bildungsreformen im 20. und 21. Jahrhundert (Stichworte: Curriculum-Reform, Kompetenz-Modell) und erläutert die drei Dimensionen der Allgemeinbildung (105-107): Information, Reflexion, Kontemplation. Im zweiten Abschnitt erklärt Maier seine Vorstellungen von Allgemeinbildung und Verantwortungsethik (108-111). Nachdem er im dritten Abschnitt seine Gedanken über die Aufgaben eines Schulleiters und die „Sonderqualitäten der Fächer“ vorgestellt hat (112-134), präsentiert er im vierten Abschnitt (Übergreifende Impulse, 135-150) seine Meinung von der Leistungsfähigkeit des Gymnasiums. Dabei kann ein fächerübergreifendes Verfahren eine »vertiefte Allgemeinbildung« ermöglichen (136), um ein häufig beklagtes Vergessen der gelernten Fachstoffe zu verhindern. Im ersten Unterabschnitt wendet sich Maier nicht gegen die naturwissenschaftlichen Fächer, sondern lediglich gegen eine „technologische Besessenheit“ (136); desweiteren beklagt er die „Ignoranz gegenüber der Klimakrise“ (138) und fordert von den Lehrenden der Fächer Geographie, Ethik- und Religionsunterricht, Themen wie Klimawandel, Vermüllung der Weltmeere und weiteres Fehlverhalten der Menschen im Unterricht zu behandeln. Neben anderen Fächern können die Alten Sprachen einen Beitrag dazu leisten, die „Demokratieverdrossenheit“ zu bekämpfen (140), ebenso sind sie in der Lage, durch Auswahl geeigneter Texte sich daran zu beteiligen, die Freiheit zu verteidigen und friedensstiftend zu wirken (144). Maier prangert auch eine „kulturelle Magersucht“ (145) an; im Fall der Anwendung von Chat-GPT sieht er die Gefahr, dass sich bei den Schülerinnen und Schülern „sprachgestalterische Defizite“ (146) einstellen, falls nicht in den sprachlichen Fächern das Verfassen von Texten gelehrt wird oder Sprachen nicht kontrastiv erlernt werden. Wenn Maier insgesamt ein düsteres Bild von der gegenwärtigen Situation des Gymnasiums zeichnet, sieht er gleichwohl auch Lichtblicke: „Wer sollte da noch Zweifel haben, dass die schöngeistigen Fächer des Gymnasiums mit ihren Stoffen und Methoden der Menschlichkeit in den Köpfen und Seelen der nachwachsenden Generation wieder oder verstärkt einen Raum schaffen, in dem das, was den Menschen zum wahren Menschen macht, Wurzel fassen kann?“ (150). Diese Hoffnung wird auch in dem Kapitel: Schlussgedanken deutlich (151-153).

Friedrich Maier hat sich mit seinem jüngsten Opus nicht nur selbst ein Geschenk zu seinem neunzigsten Geburtstag gemacht, sondern letztendlich auch den Lehrenden der Alten Sprachen. Wer sich mit der Geschichte des Gymnasiums befassen will, erhält durch die Lektüre des Bandes wichtige Erkenntnisse und Informationen, aber auch Anregungen darüber nachzudenken, in welcher Art und Weise die Fächer Griechisch und Latein dazu beitragen können, dass junge Menschen adäquat auf die Zukunft vorbereitet werden. Während es in der Antike und den sich daran anschließenden Epochen nur Adligen gewährt wurde, ein Gymnasium zu besuchen, öffnete sich diese Schulart im Laufe der Jahrhunderte auch für alle anderen Schichten. Es ist allerdings darauf zu achten, dass ein gewisses Niveau erhalten bleibt, auch wenn es für viele Menschen erfreulich sein mag, wenn jeder, der möchte, das Gymnasium durchlaufen kann. Lernen macht – wie sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrerinnen und Lehrer aus eigener Erfahrung wissen - nicht immer nur Spaß, sondern verlangt von allen Beteiligten, auch von den Eltern, viel ab. Methoden und Lerngegenstände müssen in der Regel hart erarbeitet werden, auch unter Zuhilfenahme von neuen Errungenschaften; diese dürfen aber nicht in den Vordergrund treten, im Mittelpunkt müssen die Menschen stehen, also die Schülerinnen und Schüler. Die Verantwortlichen in Politik und in den Schulen vor Ort sollen - wenn es nach Friedrich Maier geht - dafür Sorge tragen, dass das Gymnasium auch heute und in Zukunft „eine Werkstatt der Menschlichkeit“ ist und bleibt.

Rezensent: Dietmar Schmitz

das gymnasium gebundene ausgabe friedrich maier

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